Wohlwollende Geste

(c) 2009 Julia Sevenich

Die Veranstaltung findet in einem der besten Restaurants in der Umgebung statt – eine kreative, junge Mannschaft serviert und kocht auf Haubenniveau. Es ist eine größere Gruppe, die zu Mittag das Restaurant zur Hälfte befüllt. Da die Bedienung noch mit Vorbereitungsarbeiten beschäftigt ist, nimmt ein Mitglied der einladenden Gruppe den Gästen die Mäntel ab. Das Servierpersonal läuft immer wieder unbeteiligt vorbei. Der vorbestellte Begrüßungsaperitif kommt erst nach 45 Minuten. Die lange Wartezeit und ein fehlendes Ausweichmenü für die zahlreichen angekündigten Kinder sorgen für hungrige kleine Gäste und genervte Eltern. Die Gäste werden gebeten ihre Weine vom großen glasweisen Angebot an der Weinbar selbst zu holen. Das klingende Menü beginnt mit einer Reihe genussfeindlicher Streiche. Das Mozzarella Sandwich springt beim Hineinschneiden vom Teller und die Suppe wird in kleinen Einweckgläsern serviert, wo der Suppenlöffel nur waagrecht hinein passt. Das Personal geht mit leeren Händen an den Tischen vorbei und ignoriert die wachsende Zahl von leeren Gläsern und Tellern. Selbst die verzweifelten Gesichter an den Tischen werden nicht wahrgenommen. Die Unzufriedenheit der Gruppe und die Liste der unerfüllten kulinarischen Wünsche steigt. Weitere kleine Fehler werden plötzlich wie unter der Lupe höchst kritisch analysiert. Zu guter letzt werden Beschwerden mit dem Vorwurf zurückgewiesen, die Gäste hätten sich fehl verhalten.

Es gibt Tage an denen es einfach nicht gut läuft. Es kann jedoch für alles eine Erklärung oder eine Lösung gefunden werden. Aber ohne positives Einschreiten oder klärende Einwirkung eines leitenden Mitarbeiters kann Unzufriedenheit schnell eskalieren. Wünsche und Beschwerden verlangen eine möglichst rasche und freundliche Behandlung.

Die meisten Menschen wollen einfach ein angenehmes gastronomisches Erlebnis in gut gelaunter Gesellschaft genießen. Eine Beschwerde äußert man meist erst nach Durchbrechen einer Toleranzschwelle, manchmal nur im Fall von (subjektiver) Ungenießbarkeit eines Gerichtes oder Getränkes. Ein Gast, der eine Kritik oder Beschwerde äußert, erweist aber auch sein Vertrauen in den Gastronomen. Das Vertrauen, dass der Profi in die Lage ist, für das Wohl und die Zufriedenheit seiner Gäste zu sorgen.

Eine Flasche Schaumwein ist von einer charmanten Bedienung rasch geöffnet und glasweise an Gäste, die im Stehen warten müssen, angeboten. Nachdem ein sauberer Wein als „gekorkt“ zurück gewiesen wurde, findet der geübte Weinverantwortliche sicher einen Ersatz der dem Gast schmeckt. Genauso wie er unauffällig Einsatz für die erste Flasche findet ohne den Gast zu blamieren.

Falls ein Gast sich tatsächlich unerträglich verhält oder der Mitarbeiter nicht in der Lage ist eine Beschwerde sofort zu lösen, sollte natürlich der Vorgesetzte informiert werden. Freundlichkeit, Kommunikation, Verbindlichkeit einerseits und der Rückhalt beim Chef andererseits gehören zum guten Beschwerdemanagement.

Zugegeben, die Mühe und die Kunst der gehobenen Gastronomie werden auch nicht immer verstanden oder wahrgenommen. Aber auch der nicht-fachkundige Gast möchte seine kulinarischen Wünsche erfüllt bekommen. Beschwerden, ob fachlich begründet oder auch nicht, werden nicht oft genug vom Gastronomen als Chance erkannt und genützt. Es geht nicht darum, ob der Gast im Recht oder Unrecht ist. Sobald sich ein Gast beschwert, ist es um das Mysterium seiner Erwartungen geschehen. Man erfüllt den Wünsch und schenkt dem Gast noch eine aufmerksame kleine Geste und signalisiert Verbindlichkeit. Man hat plötzlich seine Erwartungen übertroffen und ihn in einen zufriedenen und glücklichen Gast verwandelt. Es ist ein leichtes und angenehmes Spiel. Man hat oft dadurch einen neuen, treuen Stammkunden gewonnen.

julia7ich

wine writer/educator

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Ein Gedanke zu “Wohlwollende Geste

  1. Im wesentlichen gelten diese Mindestanforderungen an ein Beschwerdemanagement für alle Dienstleistungssparten: Bei der Umsetzung in anderen Sparten ist es oft sogar sehr hilfreich, sich die Abläufe in der Gastronomie vorzustellen und mit der eigenen Erwartungshaltung als Gast zu vergleichen.

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